Interviews mit Grünen-Chef Robert Habeck und Wirtschaftsminister Peter Altmaier

06.04.2020
Guten Tag,
noch vor vier Wochen feierten wir uns in der Gründerszene bei den German Start-ups Awards selbst. Namhafte Vertreter aus der Politik und alle großen Gründerinnen und Gründer waren anwesend. Es war vorerst das letzte Start-up-Ereignis mit 500 Teilnehmern. Jetzt ist alles anders.

Wir befinden uns wegen der Corona-Pandemie in der größten Krise, der sich die noch junge Start-up-Szene stellen muss. Eine Umfrage unter mehr als 1000 Unternehmen zeigt: Die meisten Gründerinnen und Gründer haben Existenzangst! Die Start-ups können nicht alle Wirtschaftshilfen der Regierung nutzen. Der Dialog mit der Politik ist bereits intensiv und hoffnungsvoll. Aber: Die nächsten Monate werden entscheidend.

Die Szene steht am Scheideweg. Das wird am Drama um die Hilfen der Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) deutlich. Außerdem gibt es Stimmen, Wirtschaftsminister Peter Altmaier sei nicht der Richtige. Aus Sicht der Start-up-Szene muss ich heute feststellen: Der Mann meint es ernst, er hört zu und er will helfen. Der Staat hat die viel zitierte Bazooka abgefeuert. Jetzt muss das Geschoß aber auch noch sein Ziel finden. Darum geht es im heutigen Newsletter.

1. Analyse: Diese Hilfen benötigen Start-ups in der Corona-Krise

Die Lage ist düsterer, als ich das erwartet habe. Neun von zehn Start-ups spüren Auswirkungen. Sieben von zehn Start-ups haben Existenzängste. Zusammen mit Curth+Roth hat unser Start-up-Verband 1003 Gründerinnen und Gründer zu ihrem Unternehmen befragt.

Die Zahlen zeigen auch: Schon in den nächsten zwei Monaten entscheidet sich die Zukunft der meisten jungen Unternehmen.

Die Start-ups wurden kalt erwischt. Wir erleben keinen marktwirtschaftlichen Stopp. Das ist ein staatlich verursachter Stopp. Darauf sind die Start-ups nicht vorbereitet. Sie haben monatliche Kosten, schreiben Verluste. Das sollen sie auch. Wenn sie ein funktionierendes Geschäftsmodell haben, wird jede Einnahme darüber hinaus für das Wachstum eingesetzt. Die Start-ups sind jetzt in der Bredouille. In den nächsten Wochen geht ihnen das Geld aus.

Für kleine Unternehmen gibt es Soforthilfen und auch Start-ups können Soforthilfen beantragen. Die KfW-Kredite zur Überbrückung der Liquiditätsengpässe kommen aber bei den Start-ups nicht an. Die KfW steuert die Kredite über die Hausbanken an die Unternehmen weiter. Diese Hausbanken haben aber schon vor der Krise die Start-ups nicht mit Krediten ausgestattet. Die erfüllen nicht die finanziellen Metriken und Sicherheiten, die die Banken suchen.

So sieht die Lage für die Start-ups aus:

► Mehr als neun von zehn Start-ups sind durch Corona in ihrer Geschäftstätigkeit beeinträchtigt

► 62 Prozent der deutschen Start-ups verzeichnen sogar eine sehr starke Beeinträchtigung

► Mit nur sehr wenigen Ausnahmen (z.B. Bauindustrie) sind alle Branchen ähnlich häufig betroffen

► Vor allem Umsatzrückgang (insbesondere im Tourismus ein Problem), eine reduzierte Liquidität (trifft stark die Freizeit-Branche) und ausbleibende Venture Capital Finanzierung (vor allem im Energiesektor) machen Start-ups zu schaffen:
200402-infografik-media-pioneer-corona-startup-Beeintraechigungen
Die Zahlen zeigen auch: Die Gefährdung der Start-ups ist stark von der aktuellen Finanzierungsplanung abhängig. Unternehmen mit längerfristigen Finanzierungen (6-12 Monate) sehen sich aktuell deutlich weniger bedroht. Startups mit anstehender Finanzierungsrunde sind aber akut gefährdet.
200402-infografik-media-pioneer-corona-startup-Gefaehrdung
Zwei Drittel der Startups planen, Hilfsmaßnahmen zu nutzen. Die Hilfe wird meist in den kommenden beiden Monaten benötigt (75,6 Prozent). Vor allem eine schnelle Unterstützung ist zentral für Gründerinnen und Gründer:
200402-infografik-media-pioneer-corona-startup-hilfe
Neben den Soforthilfen für kleine Unternehmen, können Start-ups auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds nutzen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) haben außerdem ein zwei Milliarden-Hilfspaket für Start-ups angekündigt.

Wichtig ist: Die eine Lösung gibt es wegen der vielfältigen Finanzierungsarten und Entwicklungsstadien für die Start-ups nicht. In unserem Bundesverband der Deutschen Start-ups schlagen wir deswegen einen Vier-Stufen-Plan als Schutzschirm vor:

► Stufe 1: Maßnahmen für Start-ups in früher Phase ohne Wagniskapitalgeber. Private Geldgeber werden zögerlich und risikoarm investieren. Direkte staatliche Fördermittel sind daher nötig, wie zinsgünstige Darlehen. In einigen Bundesländern gibt es bereits Darlehensprogramme, die ohne Hausbank funktionieren. Eine persönliche Haftung der Gründer muss ausgeschlossen werden. Auch andere Förderprogramme sollten unbürokratisch verlängert werden.

► Stufe 2: Maßnahmen für Startups mit Wagniskapitalgeber. Für diese Start-ups bietet sich ein kurzfristig aufzusetzender Matching-Fonds an. Bestandsgesellschafter von Start-ups entscheiden marktwirtschaftlich darüber, ob sie zur Überbrückung der Corona-Krise weiter in dieses Start-up investieren wollen. Der Matching-Fonds würde die Investitionssumme der privaten Bestandsgesellschafter in einem festen Schlüssel mit einem Wandeldarlehen matchen. Wenn der Schlüssel 30:70 (Investitionen der privaten Bestandsgesellschafter zu Investition aus dem Matching-Fonds) beträgt, würde der Fonds im Ergebnis, analog der KfW-Kredite, sogar unter 80 Prozent der Gesamtinvestitionen übernehmen.

► Stufe 3: Maßnahmen für Scale-ups. Start-ups, die in den letzten Jahren viele hundert Mitarbeiter einstellen konnten, stehen vor einer besonderen Herausforderung. Da diese Scale-ups häufig in absehbarer Zeit die Profitabilität oder einen Exit anstrengen kann hier Venture Debt helfen. Das bedeutet: Diese Unternehmen können zu marktüblichen Konditionen schnell bis zu dreistellige Millionensummen zur Verfügung gestellt werden. Die Abwicklung könnte über private Anbieter vollzogen werden.

► Stufe 4: Maßnahmen für einen Secondary Market bei ausfallenden Investoren. Investoren in Venture Capital Fonds können selbst in den kommenden Monaten Liquiditätsengpässe erleben. Dann können sie Kapitalzusagen für ihre Start-ups nicht leisten. Deswegen braucht es auch für dieses Szenario einen Notfallplan. Die KfW und der European Investment Fonds können Anteile an bestehenden Fonds übernehmen. Der Erwerb von Anteilen an bestehenden Fonds streut nicht nur das Risiko für die öffentliche Hand, sondern garantiert auch eine Beteiligung und Mobilisierung von privaten Mittel, da die übrigens Fonds Investoren an jeder Investition prorata beteiligt sind.

Fazit: Nun ist es an uns. Eine historische Verantwortung liegt auf den Schultern der Start-up-Szene. Schaffen wir es, die gesunden Start-ups zu stabilisieren, gleichzeitig aber den Missbrauch von Steuergeldern zu unterbinden? Einerseits haben wir Mechanismen vorgeschlagen, die die Privatwirtschaft auffordert voranzugehen. Andererseits ist unsere Branche hoffentlich klein genug, um soziale Kontrolle und „Peer Group pressure“ zur Vermeidung von Missbrauch einzusetzen. Jeder einzelne ist gefragt, einen Beitrag dazu zu leisten, dass wir nicht die Steuergelder von Busfahrern und Krankenschwestern dazu verwenden, tote Pferde zu reiten. Es ist mehr als ein soziales Experiment. Es ist die Quintessenz dessen, was wir seit mehr als einem Jahrzehnt mühsam unternehmerisch aufgebaut haben. Es ist die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft.

2. Minister Altmaier: Start-up-Hilfen noch im April
Klicke Sie hier, um den Podcast zu hören
Klicke Sie hier, um den Podcast zu hören
 
Im aktuellen Tech Briefing Podcast hören Sie mein Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Darin kündigte er an, dass die ersten Gelder aus der angekündigten Zwei-Milliarden-Hilfe für Start-ups bereits in diesem Monat fließen sollen. Dazu Altmaier:
Bei einigen Punkten brauchen wir die Zustimmung aus Brüssel. Da verhandeln wir mit Hochdruck mit der Europäischen Kommission.”
Der Wirtschaftsminister sieht, dass noch nicht alle Unternehmen von den bisherigen Hilfsmaßnahmen profitieren:
Wir waren schnell. Wir waren parallel zu den Ereignissen der Pandemie in der Lage, unseren Schutzschirm für die Unternehmer und Arbeitnehmer zu entrollen. Viele Hilfen haben begonnen und funktionieren. Es gibt aber auch Bereiche, bei denen es noch klemmt und hakt. Die Banken haben unterschiedliche Praktiken bei der Kreditvergabe. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn die Unternehmen brauchen die Unterstützung.”
Peter Altmaier glaubt, dass es unter normalen Umständen nicht zu seinem Aufgabenbereich gehört, die Start-up-Szene zu bemuttern:
Die Marktwirtschaft lebt von Unternehmern, die jeden Tag die Spielregeln neu ausprobieren. Die Hefe im Sauerteig bringt das Neue - und das sind die Start-ups. Hier hat Deutschland in den letzten Jahren deutlich aufgeholt. Meine Philosophie als Wirtschaftsminister: Misch dich nicht zu sehr ein, lass die jungen Leute erfinden und entwickeln.”
Allerdings müsse der Staat jetzt in dieser Krise helfen:
Jetzt haben wir eine Situation, die nichts mit Marktwirtschaft zu tun hat. Sie haut vielen Start-ups die Beine weg. Der Finanzminister und ich müssen dafür sorgen, dass keine Unternehmen wegbrechen, die wir dringend brauchen, um in den nächsten Jahren international weiter vorne dabei zu sein.”
Zu den Herausforderungen gehöre es jetzt, das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren:
Die Frage der Kreditlinien richtet sich auch an die Unternehmen in der Tourismusbranche. Die Umsätze sind dort zu 100 Prozent weggebrochen. Diese Unternehmen beschäftigen Start-ups und andere Zulieferer. Das ist ein Ökosystem. Wir müssen als Regierung jetzt dafür sorgen, dass dieses Ökosystem nicht austrocknet und zerfällt.”
Das Worst-Case-Szenario beschreibt der Wirtschaftsminister so:
Wir wollen keine Staatswirtschaft. Wir wollen keine Situation, in der am Ende der Pandemie 90 Prozent der Wirtschaft am Tropf hängt. Deswegen sind unsere Hilfen für die Dauer der Pandemie ausgerichtet. Danach muss es mit wirtschaftlichen Verfahren weitergehen.”
Auch appelliert Altmaier an Unternehmer, verantwortungsvoll mit den Corona-Hilfen umzugehen:
Wenn jemand trotz guter Umsätze Hilfsmaßnahmen anfordert, dann ist das nicht im Sinne des Erfinders. Bei den Start-ups haben wir eine hohe Volatilität. Schon unter normalen Umständen scheiden viele Start-ups aus dem Markt aus. Trotzdem wollen wir jetzt nicht die Frage stellen: ‘Wärest du ohne Corona in einem halben Jahr vielleicht sowieso pleite gewesen?’”
altmeier-studio
Wirtschaftsminister Peter Altmaier zu Gast im Podcast-Studio
Das Bundeswirtschaftsministerum bietet eine Hotline für wirtschaftsbezogene Fragen für Unternehmer an.
 
Empfehlen
Teilen Sie das Tech Briefing
facebook   twitter   linkedin   whatsapp   email
 
 
3. Grünen-Chef Robert Habeck: Europa kann es noch an die Spitzenposition der Digitalisierung schaffen

Keine Partei steht in der Gunst der Start-up-Szene so weit oben wie Die Grünen — und das obwohl junge Unternehmer den Ruf haben, stark kapitalistisch zu agieren. Außerdem ist die Gründerpolitik der Partei noch undefiniert. Unter den Mitgliedern beobachte ich (überspitzt formuliert) zwei Lager: Technologieaffine Millenials wie Danyal Bayaz, die verstanden haben, dass der Klimawandel auch mit Technologie bekämpft werden kann. Es gibt aber auch noch die Parteimitglieder, die mit Aluhütchen vor dem Fernseher sitzen, um sich vor der tödlichen Strahlung zu schützen.

Über den Zwiespalt innerhalb der Partei, die Leidenschaft für neue Ideen und politischen Mut geht es in meinem Gespräch mit dem Parteivorsitzenden und gebürtigen Flensburger Robert Habeck.
Klicken Sie hier, um den Podcast zu hören
Klicken Sie hier, um den Podcast zu hören
 
Einige haben den Eindruck, dass es um die Opposition zur Corona-Krise still geworden ist. Diesen Eindruck will Habeck nicht gelten lassen:
Das ist keine Frage von Regierung und Opposition. Das ist eine Frage von Exekutive und Legislative. Das Parlament und die Debattenkultur treten in den Hintergrund. Das ist auf Dauer kein guter Zustand. Die Entscheidungen müssen schnell getroffen werden. Auf Dauer ist das für eine Demokratie selbstverständlich schwierig. Das ist eine Ausnahmezeit, die wir gerade ertragen müssen.”
Doch wer zahlt am Ende die ganzen Hilfen?
Wenn die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, zahlt das Wirtschaftswachstum. Dann zahlen sich die Gelder über die nächsten zehn, zwanzig Jahre ab. Die Steuer wird wieder steigen. Über das Steuervolumen finanziert sich der Staat und dann wird das Geld Schritt für Schritt abgestottert. Die aufgenommenen Gelder sind negativ verzinst. Noch immer leihen uns die Anleger Geld dafür, dass wir uns verschulden. Die Bedingungen die Wirtschaft jetzt zu unterstützen sind optimal.”
Neben all den Schattenseiten der Corona-Pandemie erwartet Habeck eine positive Entwicklung für die Digitalwirtschaft:
Ich erwarte einen Boom in der Digitalisierung und bei digitalen Start-ups. Wir lernen gerade, wie viel über das Internet möglich ist und wie viel man darüber kompensieren kann. Wenn es gut läuft, entstehen neue Geschäftsmodelle, die uns stärker aus der Krise hervorkommen lassen.”
In einer vor kurzem durchgeführten Umfrage gaben 44 Prozent der Start-up-Gründer an, dass sie die Grünen wählen würden. Früher galt die FDP als die Partei der Gründer. Habeck erklärt das so:
Das sind Geschäftsleute, die sich nicht nur gut fühlen wollen, sondern sie wissen, wie ihre Bilanzen auszusehen haben. Sie haben eine intrinsische Motivation. Die erste Frage ist oft nicht: Wie werde ich Millionär? Es wird gefragt: Was kann ich sinnvolles tun? Nachhaltige Prozesse, soziales Zusammenleben und ökologische Prozesse und Unternehmertum schließen sich nicht aus. Peter Altmaier steht für eine Denkschule, die diese Punkte schön und gut findet - aber nur wenn, man sich diese auch leisten kann. Das ist falsch. Das sind keine Gegensätze, sondern Pole, die sich bedingen. Das ist in der jüngeren Generation der Start-up-Branche tief im Denken und Rechnen verankert. Deswegen gibt es eine Zuwendung zu meiner Partei.”
Die unterschiedlichen Strömungen in der Partei zum Thema Digitalisierung erklärt Habeck so:
Je größer Parteien werden, desto mehr Strömungen gibt es. Es gibt eine gewisse Technikskepsis bei uns in der Partei, die aus der Kritik der Atomkraft kommt. Also: Glaubt nicht alles, was euch als Innovation vorgelegt wird. Es gibt aber auch eine Technikaffinität, die aus den erneuerbaren Energien stammt. Glaubt an die Möglichkeiten, das Erfindungsreichtum und Ideen, die in der Zukunft helfen. Ich sehe das so: Technische Entwicklungen sind erst einmal neutral. Wir müssen erst die Möglichkeiten ohne Denkverbote erforschen und dann brauchen wir eine gesellschaftliche Debatte, die den Einsatz dieser Möglichkeiten diskutiert.”
Zur Illustration nennt Habeck ein Big-Data-Beispiel:
Nehmen wir die Debatte um das Smarthome. Wir können unsere Stromzähler so einstellen, dass wir bestimmte Preissignale bekommen und dann bestimmte Verbräuche nicht mit 30 Cent pro Kilowattstunde bezahlen, sondern die Leistungen der erneuerbaren Energien in unsere Waschmaschine, Trockner und Kühltruhen mit einspeisen. Umgekehrt haben die Ableser des Smart-Meterings theoretisch Zugriff auf unsere Daten. Über den Stromverbrauch kann man bereits messen, welche Fernsehprogramme man gerade schaut. Die Antwort ist: Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, aber müssen auch die Neutralität gegenüber anderen wahren.”
Diese Haltung wendet Habeck auch auf die Diskussion um die Handy-Daten im Kampf gegen die Auswirkung des Coronavirus an.
Ich finde es richtig, über anonyme Big-Data Bewegungen zu erkennen, wie sich das Coronavirus ausbreitet. Ich finde es hilfreich, wenn Menschen informiert werden, dass sie mit infizierten Menschen in Kontakt gewesen sein könnten, sodass sie lieber zu Hause bleiben. Ich fände es aber falsch, wenn wir erfahren, wie der Gesundheitszustand unser Nachbarn ist. Dann würden wir uns aktiv von Menschen fernhalten und sie stigmatisieren, weil wir denken, sie können infiziert sein. Die Nutzung der Daten müsste bürgerrechtlich so gestaltet werden, dass wir Privatheit gewähren und immer verteidigen.”
Die Rolle von Deutschland in der weltweiten Digitalisierung sieht Habeck klar definiert:
In den USA haben wir einen deregulierten digitalen Kapitalismus. Dort gibt es keine staatliche Normgebung. Die Konsequenz: Facebook und Twitter haben auch bei uns eine Debattenkultur implementiert, die wir bei uns nicht kennen. Erst über Urteile muss der Schutz von Anstand und Würde wieder eingeklagt werden. Umgekehrt haben wir in China genau das Gegenteil: Eine komplette Kontrolle des Staates über alle Daten. Wir können es nicht wollen, ausspioniert zu werden und dann über unser privates Verhalten politisch belohnt zu werden, wie wir das beim Social-Scoring beobachten. Es wird geahndet, wenn man über die rote Ampel geht, falsche Bücher liest oder die falsche Homepage aufruft. Aus einer europäischen Sicht ist das eine totalitäre Vorstellung von Politik. Europa muss eine Sandwich-Position einnehmen, auch wenn das ökonomisch gesehen die anstrengendste ist. Wir brauchen klare Regeln mit freier Marktwirtschaft.”
Habeck wünscht sich eine Vorreiterrolle für Deutschland und Europa im digitalen Markt:
Das haben wir in der Vergangenheit nicht getan. Wir haben Technik aus China übernommen —Stichwort 5G— oder die großen Player aus den USA unser Marktmodell bestimmen lassen. Diese Entwicklung der letzten zwanzig Jahre können wir noch rückgängig machen. Bestimmte Bereiche können wir auch zurückerobern: Bei Künstlicher Intelligenz oder Blockchain-Technologie ist der Zug noch nicht abgefahren.”
Der Grünen-Politiker unterstreicht seine Kritik an den großen Konzernen aus dem Silicon Valley:
Facebook wäre der Albtraum von Ludwig Erhard und Konrad Adenauer gewesen. Das ist nicht mehr Marktwirtschaft, das ist ein Oligopol. Es spricht vieles dafür, Facebook, Instagram und WhatsApp wieder zu entflechten, damit die Marktmacht nicht noch größer wird.”
Doch wie stark darf sich der Staat einmischen? Nach der Corona-Krise erwartet Habeck eine ganz andere Diskussion:
Nach Corona werden wir eine neue Denkschule erleben, wie die Kombination von Markt und Staat entspannter gesehen wird. Zukunftsfonds, an denen sich der Staat beteiligt, ohne sich einzumischen, das werden wir stärker sehen.”
Hören Sie das ganze Gespräch im aktuellen Tech Briefing Podcast. Den finden Sie bei Apple Podcasts, Spotify, Deezer oder direkt auf unserer Homepage.
 
4. Hörtipp: Start-up-Gespräch mit Gründer Finn Age Hänsel

In diesem Tech Briefing haben aber nicht nur Politiker das Wort. Wir beschäftigen uns mit einem weiteren Flensburger, der ähnlich wie der Chef der Grünen die Legalisierung von Cannabis fordert. Gründer Finn Age Hänsel hat 20 Millionen Euro für seine Sanity Group eingesammelt. Der Schwerpunkt: Medizinisches Cannabis. Das ist die bisher größte Investitionsrunde zum Thema Cannabis in Europa, erklärt Hänsel:
In den USA ist der Cannabis-Markt ein Mega-Thema. Der ist mehrere Milliarden US-Dollar groß. Der medizinische Cannabis-Markt in Deutschland ist bereits ein dreistelliger Millionen-Markt. Wir gehen davon aus, dass es am Ende ein zweistelliger Milliarden-Markt in Deutschland werden kann.”
Das ganze Gespräch hören Sie auch im Podcast.
 
…
Mein Highlight des Monats: Die Start-up-Szene steht zusammen wie niemals zuvor. Alle sind in der Corona-Krise füreinander da. Darauf bin ich stolz. Die Start-up-Szene ist reif und erwachsen geworden. Jeder übernimmt Verantwortung. Nicht nur für sich, sondern auch über den Tellerrand hinaus.

Mein Lowlight des Monats: Es nervt mich. Seit Jahren ringen wir in der Start-up-Szene um Verständnis, damit ein Mentalitätswandel einsetzen kann. Der Leiter der Forschungsgruppe Enterepreneurship des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat aber in einem Interview mit dem Spiegel bewiesen, dass er nicht verstanden hat, wie Start-ups finanziert werden. Er beklagte, warum Start-ups nicht die Hilfsmaßnahmen der KfW nutzen. In solch einem renommierten Institut sollte man eigentlich besser wissen, wie sich Start-ups finanzieren und wo ihre Grenzen sind.

Köpfe des Monats: Thomas Jarzombek (CDU) als Start-up-Beauftragter des Wirtschaftsministeriums und Jörg Kukies (SPD) als Staatssekretär im Finanzministerium. Beide spielen sich jetzt während der Corona-Krise die Pässe und Bälle zu und helfen der Start-up-Szene massiv. Über die Politik wird gerne gemeckert, aber es macht gerade großen Spaß Jarzombek und Kukies bei der Arbeit zuzusehen.

Deal des Monats: Das sind die Maßnahmen der Bundesregierung für die Start-ups, die wir gemeinsam erarbeitet haben.
 
Schreiben Sie Ihr Feedback bitte an techbriefing@mediapioneer.com, über Linkedin oder an meinen Twitter-Account.

Der nächste Tech Briefing Newsletter erscheint am Donnerstag nach Ostern.

Bleiben Sie gesund!

Christian Miele
Kolumnist, Investor und Präsident beim Bundesverband Deutsche Start-ups
 
Ihre Meinung
Wie zufrieden sind Sie
mit dem heutigen Tech Briefing?
Feedback
 
Wurde Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet?
Jetzt anmelden
Folgen Sie uns auf Social Media
twitter Linkedin instagram youtube
Fügen Sie bitte die E-Mail-Adresse techbriefing@blog.mediapioneer.com Ihrem Adressbuch oder der Liste sicherer Absender hinzu. Dadurch stellen Sie sicher, dass unsere Mail Sie auch in Zukunft erreicht.



Media Pioneer Publishing GmbH
Bleibtreustr. 20
10623 Berlin
E-Mail: media-pioneer@gaborsteingart.com

Eintragung im Handelsregister
Registergericht: Amtsgericht Charlottenburg
Registernummer: HRB 205641 B
Geschäftsführung: Ingo Rieper


Verantwortlich für den Inhalt nach § 55 Abs. 2 RStV:
Michael Bröcker
Bleibtreustr. 20
10623 Berlin

Wir verwenden Bilder von imago images