Softbank Vision Fund - warum der weltgrößte Investmentfonds strauchelt

03.02.2020
Guten Tag,
was für ein Jahresauftakt! Wir glauben nicht an das fliegende Auto und haben das Selbstvertrauen in unsere Ingenieurskunst verloren. Der größte Investor der Welt steht vor einem Scherbenhaufen. Elon Musks Elektroauto Tesla ist mehr wert als Volkswagen. Apple hat inzwischen eine höhere Marktkapitalisierung als der gesamte DAX. Ganz schön viel los zum Start von 2020. Ich versuche die Themen mal für Sie zu ordnen.

Aber zunächst blicken wir nach Westen und zu einem Politiker, der sein Land mit Verve und Leidenschaft digitalisiert.
…
1. Emmanuel Macron baut Frankreich zur Digitalnation um — und wir schauen zu!

Ich bin neidisch, wie konsequent der französische Staatschef dieses Thema für sich und sein Land gewinnen will. Er hat erkannt, welche Rolle die Digitalisierung für den französischen Wohlstand spielen kann, und was die Digitalwirtschaft braucht, um zu wachsen. Frankreich solle der “attraktivste Ort für Start-ups in Europa” werden, kündigt er an.

Warum haben wir in Deutschland keine Politiker, die so mutig nach vorne gehen? So schwer kann es doch nicht sein, auch mal rhetorisch etwas zu riskieren und für eine Vision einzustehen?

Präsident Macron will in den nächsten fünf Jahren 25 Unicorns im Land etablieren. Als Unicorn wird ein Start-up-Unternehmen mit einer Marktbewertung, vor einem Börsengang oder einem Exit, von über einer Milliarde US-Dollar bezeichnet. Hier seine wichtigsten Maßnahmen:

► Im Herbst kündigte Macron einen Investmentfonds in Höhe von fünf Milliarden Euro an, aus dem institutionelle Investoren Tech-Start-ups fördern. Am Ende des Jahres konnte Macron fast sechs Milliarden Euro einsammeln.

► Die Besteuerung von Aktienoptionen soll in Frankreich erheblich attraktiver werden. Ein existenzielles Thema für Start-up-Gründer, die im Kampf um Talente ihre Angestellten mit Aktienoptionen lukrativer bezahlen können. Die Mitarbeiter erhalten einen Discount auf Unternehmensteile, den andere Investoren nicht erhalten. Das senkt die Kosten.

►Das neue Aktienoptions-System gilt auch für ausländische Firmen, die Beschäftigte in Frankreich haben. So lockt Macron Digitalfirmen ins Land.

► Das Programm “French Tech Visa” unterstützt Unternehmen beim Anwerben von Talenten aus dem Ausland. Aufenthaltsgenehmigungen sollen erleichtert werden und es gibt Unterstützung bei anderen Verwaltungsaufgaben. Unter dem Schlagwort PACTE (Plan d’Action pour la Croissance et la Transformation des Entreprise or Action Plan for Business Growth and Transformation) werden bürokratische Hürden gesenkt, vereinfachte Online-Anmeldungen für neue Unternehmen und schnellere Einstellungsprozesse etwa.

Aber man muss genau hinschauen! Macron prescht vor, seine Behörden erwachen allerdings erst langsam aus dem Winterschlaf. Macron ist ein Meister der Inszenierung, aber vieles muss erst noch umgesetzt werden.

Trotzdem: Seine visionäre Kraft ist wohltuend, denn Klappern gehört zum Geschäft. Das klare Bekenntnis des Staatschefs zur digitalen Transformation des Landes ist es, was ich in Deutschland so schmerzlich vermisse. Politiker die ein Thema besetzen und bereit sind zu scheitern, das brauchen auch wir!

Die Zahlen machen Macron Mut: Im Vergleich der größten EU-Städte (ohne London) steht Paris längst besser da als Berlin. In der französischen Hauptstadt gab es laut einer Studie der Unternehmensberatung EY 2017 und 2018 mehr Finanzierungsrunden als in Berlin und auch beim Investitionsvolumen hat die Stadt an der Seine aufgeholt, während Berlin stagnierte:
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Was können wir von Frankreich lernen? Darüber habe ich für den “Tech Briefing”-Podcast mit Johannes Reck gesprochen. Er ist einer der wenigen ”Unicorn”-Macher in Deutschland und einer der erfolgreichsten Gründer im Land. Vor mehr als zehn Jahren hat er das Reiseportal “Get Your Guide” gegründet und zum Marktführer für Vermittlung von Freizeitaktivitäten und individuellen Reisen aufgebaut. In das Unternehmen floss in sechs Finanzierungsrunden mehr als 650 Millionen Dollar. Bis Ende des Jahres sollen rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Unternehmensstandorten Berlin und Zürich sowie an den 15 Sales-Standorten weltweit arbeiten.
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Klicken Sie auf das Bild, um zum Podcast zu gelangen
 
In dem Gespräch für unseren Podcast, den Sie ab sofort jede Woche hören können, beklagt der 34-Jährige vor allem, dass in Deutschland Kapital und Talente fehlen. Er fordert von der deutschen Politik bessere Rahmenbedingungen ein:
Mittlerweile argumentiere ich nicht mehr, dass wir in Deutschland Vorreiter sein müssen. Mittlerweile sage ich: Schaut euch Macron an und kopiert seine Ideen. Das würde schon reichen. Wenn diese Veränderungen in einem statischen und verkorksten System wie Frankreich möglich sind, sollte das bei uns auch möglich sein.”
Reck über das fehlende Kapital für junge Digitalunternehmen:
Kapital ist weiter ein Engpass. Die meisten Start-ups in Deutschland werden bisher von amerikanischen Unternehmen durchfinanziert. Wenn 'Get Your Guide' an die Börse geht, werden vor allem in Asien und Amerika die Champagnerkorken knallen.”
Er hat eine klare Vorstellung, wo Deutschland nachbessern sollte:
Wir brauchen Mitarbeiterbeteiligungen durch Aktienoptionen, wie sie in den USA möglich sind. Die Einkünfte durch Kapitalbeteiligung dürfen nicht in dem Moment besteuert werden, wenn die Anteile ausgegeben werden, sondern erst dann, wenn die Gewinne realisiert werden.”
Und weiter:
Wenn es um die Besteuerung der Kapitaleinkünfte der Mitarbeiter geht, wird dies bei uns mit dem Einkommensteuersatz besteuert. In allen anderen Ländern in Europa und in den USA wird die Kapitalertragsteuer herangezogen. Unsere Regierung hat nicht den Mut, das zu ändern.”
Dennoch würde Johannes Reck sein Unternehmen nie ins Ausland verlagern. Er sieht sich als überzeugter Europäer:
Ich möchte in einer Demokratie leben. Ich habe lange in Amerika gelebt — das Land ist sehr reizvoll, es wird in das Individuum Vertrauen gesetzt. Gleichzeitig bin ich Deutscher und Europäer und habe eine liberale Weltsicht und die ist am Besten bei uns verankert. Diese Haltung entdecke ich auch bei den Bewerbern aus dem Ausland, die zu uns kommen möchten. Leider gibt es aber in Deutschland noch nicht die optimalen Rahmenbedingungen für Start-ups.”
Das gesamte Gespräch hören Sie als Podcast bei Apple PodcastSpotifyDeezerOvercast oder direkt als RSS-Feed.
Christian Miele mit Johannes Reck
Johannes Reck (hinten) zu Gast bei mir im Podcast-Studio
 
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2. Analyse: Tesla ist mehr wert als Volkswagen — ein Weckruf
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Also jetzt muss ich dann doch einen Satz zu Tesla sagen. Bei allem Respekt. Es gibt auf dieser Welt Ankündigungsweltmeister – ich nenne keine Namen. Es gibt Unternehmen, die verkaufen mit Mühe 80.000 Autos pro Jahr. Volkswagen – 11 Millionen in dem Jahr. Dann gibt’s Unternehmen wie Volkswagen, die erwirtschaften im Jahr einen Gewinn von 13 oder 14 Milliarden Euro. Und wenn ich richtig informiert bin, vernichtet Tesla pro Quartal einen dreistelligen Millionen-Betrag, schmeißt die Mitarbeiter raus, wie sie lustig sind. Also Sozialkompetenz – weiß ich nicht, wo die ist. Also da bitte ich, die Kirche im Dorf zu lassen, und nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen..”
Das sagte ein gewisser Matthias Müller 2017 als Vorstandsvorsitzender von Volkswagen bei einer Diskussionsrunde der “Passauer Neuen Presse”.

Erstaunlich, wie arrogant Manager wie Matthias Müller vor drei Jahren noch über Tesla gesprochen haben. Es ist diese Hybris der Traditionalisten, die uns das Genick brechen wird. Die Automobilindustrie, von der Deutschland so abhängig ist, wird nicht die letzte Branche sein, die von Gründerinnen und Gründern neu gedacht wird. Ich sage voraus: Der nächste “Tesla-Moment” steht vor der Tür.

Dann wird das Fintech-Start-up N26 mehr wert sein als die Commerzbank und die Deutsche Bank. Die Branchengrößen hätten N26 vor zwei Jahren für 1,5 Milliarden Euro kaufen sollen, jetzt ist es zu spät. Der Atem des Fintechs ist spürbar: die Online-Bank hat bereits fünf Millionen Kunden weltweit. Vor zwei Jahren waren es 500.000. Andere Banken blicken neidisch auf die Zahl der täglich eröffneten Konten.

Mein Rat: Lasst uns endlich anfangen, die Start-ups ernst zu nehmen. Lasst uns zusammenarbeiten, statt uns anzufeinden und runterzumachen.

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3. Trend: Die großen internationalen Fonds eröffnen Büros in Deutschland

Während wir uns mit uns selbst beschäftigen, bauen unsere amerikanischen Wettbewerber ihr Nest in unserem Vorgarten. Weltweit führende Venture Capital Firmen wie Lightspeed Capital, Sequoia und neuerdings auch General Catalyst eröffnen gerade europäische Büros.

Noch nie von diesen Investoren gehört? Das sind die Geldgeber hinter Tech-Giganten wie Instagram, Whatsapp, Apple oder Google. Sie finanzierten alle weltweit bekannten Technologie-Erfolge, die heute einen Großteil des Dow Jones ausmachen. Es sind die Königsmacher unserer Zeit. Und sie sind hier um zu investieren — in unsere Start-ups. Was das für Deutschland heißt? Nicht viel. Denn die Gewinne, die unsere Gründer mühsam erarbeiten, fließen ins Ausland. Passend das fast gleichzeitig Apple mehr wert ist als der gesamte DAX.

4. Was auf uns zukommt: Sorgen um den weltgrößten Investmentfonds

Eine volle Kasse ist nicht per se ein Garant für Erfolg. Die “New York Times” berichtete Ende vergangenen Jahres, dass das strauchelnde Immobilien-Start-up WeWork 2.400 Mitarbeiter auf die Straße setzte. Die Meldung ist kein Einzelfall. In den letzten Wochen haben einige hoch bewertete Start-ups Mitarbeiter entlassen:

  • Hotel-Start-up "Oyo Rooms": 2.800 Mitarbeiter
  • Fahrtenvermittler Uber: > 1000 Mitarbeiter
  • Pizza-Roboter-Hersteller Zume: 360 Mitarbeiter
  • Carsharhing-Anbieter GetAround: 150 Mitarbeiter

Alle haben einen Investor gemeinsam: den Softbank Vision Fund. Mit einem Volumen von 100 Milliarden US-Dollar ist der japanische Fonds der weltgrößte Start-up-Investor. Aber: Jede zehnte Firma, die zum Softbank-Portfolio gehört, ist mit Stellenstreichungen in die Schlagzeilen gekommen.

Dahinter steckt eine gnadenlose Wachstumssucht. Der Softbank Vision Fund investiert nur, wenn das Geschäftsmodell das Potenzial hat, sehr, sehr groß zu werden. Der Kopf dahinter ist Masayoshi Son, der reichste Japaner (Vermögen: 23,8 Milliarden US-Dollar) der Welt. Die Szene nennt ihn nur “Masa”.

Die Strategie spiegelt sich in den Top-Investments wider. Fahrdienstvermittler Uber, Mikroprozessor-Hersteller AMD, Coworking-Anbieter WeWork oder das Fintech SoFi. Aber auch deutsche Unternehmen wie Auto1 (460 Millionen Euro), Wirecard und "Get Your Guide".

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Die Kunst des Fonds ist die Mischung: Die Mehrheit der Investments zahlt sich nicht aus, aber einige wenige werfen riesige Gewinne ab. Doch Softbanks Größenwahn birgt eben auch das Risiko, dass die Burnrate, also das kurzfristig "verbrannte Geld", explodiert und Softbank nun auf die Kostenbremse treten musste. Das Vertrauen ist nun beschädigt, das strauchelnde WeWork produziert Negativ-Schlagzeilen.

Fazit: Für Start-ups wird es immer wichtiger trotz Funding operativ schwarze Zahlen zu schreiben. Und ob Softbank-Gründer Masayoshi Son seinen angekündigten zweiten Vision Fund auflegen kann? Es dürfte zumindest kein Selbstläufer werden.
 
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Mein Rockstar: Niklas Östberg! Sein Lieferdienst Delivery Hero konnte 2,2 Milliarden Euro an der Börse erlösen. Damit wird die Übernahme des südkoreanischen Konkurrenten Woowa Brothers möglich. Das Imperium wächst!

Mein Lowlight: Die “Spiegel”-Berichterstattung über das Flugtaxi-Start-up Lilium. Das Nachrichtenmagazin schreibt das visionäre Unternehmen herunter, sucht krampfhaft ein Haar in der Suppe. Am Ende ist es eine Mentalitätsfrage. Man könnte auch sagen: Ja, fliegende Autos sind noch nicht in der Luft, aber das kann ja noch kommen. Lieber reden wir die Chancen klein. Schade!
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Outfittery
Deal des Monats: Benedikt Franke (Gründer von Helpling) und Anna Alex (Gründerin von Outfittery, Foto) sind zwei Seriengründer aus Berlin, die nun die Welt retten wollen. Ihr neues Unternehmen “Planetly” soll Unternehmen Werkzeuge an die Hand geben, um den eigenen CO2-Abdruck zu messen, zu reduzieren und zu kompensieren.  

Greta Thunberg meint, technologischer Fortschritt wird nicht helfen um die Klimakatastrophe abzuwenden. Ich meine: Doch, ganz genau das wird uns helfen. Wir brauchen mehr davon! 
  
Mein Lesetipp: Die klügsten Köpfe der Venture-Capital-Szene haben zum Start in das neue Jahr ihre Vorhersagen für die neue Dekade aufgeschrieben. Ich habe sie für Sie gesammelt:
  • Fred Willson (Union Square Ventures) über Klima, Automation und nationalen Cryptocurrencies (Link)

  • Barry Eggers (Lightspeed) über Nachhaltigkeit, Social Impacgt und das Full maschine age (Link)

  • Sam Lessin (Slow ventures) über Mainstream VR, Digital Currency, Influencer, Human Work Clouds (Link)

  • Keith Wasserman (Gelt Inc) über Co-Loving, Future of Apartments and Hotels (Link)

  • Brian Armstrong (Coinbase CEO) über Blockchain Applications, Privacy und Emerking Markets (Link)

 
 

Zum Schluss ein Dank in eigener Sache. Rund 14.000 Abonnentinnen und Abonnenten haben sich für den “Tech Briefing”-Newsletter entschieden. Vielen Dank dafür! Viele spannende Anregungen und wertvolle Tipps haben uns erreicht, meine Forderung nach einem “Mutausbruch” hat viel Feedback gebracht. Hier ein Auszug:  

  • “Würde ein solcher Mutausbruch gelingen würde Deutschland seinen Ruf als Nation der Erfinder zurückerobern und das Computerzeitalter wäre dann nicht mehr verloren, sondern wir würden es wieder mitgestalten. Die Kosten für ein solches Unterfangen sind enorm. Sehen wir uns aber an, welche Summen an Steuergeldern für andere Zwecke ausgegeben werden, sollte eine steuerliche Umverteilung wichtige Mittel in ausreichender Größenordnung bereitstellen”, schreibt Andreas M.

  • “Wir machen alles neu aber nicht anders. Die Politik kann nur Rahmenbedingungen schaffen, aber Lösungen entstehen nur in den Köpfen der Mitarbeiter, Entwicklung, Marktdurchdringung”, schreibt Hermann L.

  • “Auch vor unangenehmen Wahrheiten sollte nicht gekuscht werden und die Höhe der notwendigen (Gesamt-)Investitionen sehr genau beziffert werden. Die Leute wollen und sollen schließlich wissen, was man von ihnen erwartet und wie die Investitionen verwandt werden”, schreibt Peter W.

Schreiben Sie mir bitte weiter Ihre Meinung: Was kann Deutschland von Frankreich auf dem Weg in den Digitalstaat lernen? Ihr Feedback bitte an techbriefing@mediapioneer.com oder an meinen Twitter-Account

In der kommenden Woche erhalten Sie das "Tech Briefing" von meinem Kollegen, dem Media Pioneer Redakteur Daniel Fiene. 

Wir lesen uns wieder am ersten Montag im März. 

Bleiben Sie neugierig — liebe Grüße

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Christian Miele
Kolumnist, Investor und Präsident des Bundesverbandes Deutsche Start-ups