Diese Köpfe könnten ein Digitalministerium führen

13.01.2020
Guten Morgen,
im vergangenen Jahr hatte der Klimaschutz seinen Greta-Moment. 2020 brauchen wir in der Digitalisierung so einen Mutausbruch. 

Ein radikales Wendemanöver in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu gehören die Einführung eines Digitalministeriums mit Zuständigkeiten, Budget und einer glaubwürdigen Persönlichkeit an der Spitze. Und wir brauchen neue Rahmenbedingungen für junge Unternehmerinnen und Unternehmer. Eine neue Gründerkultur.

Und damit herzlich willkommen zur ersten Ausgabe meiner Start-up-Ausgabe des Tech Briefings. Ab jetzt gebe ich Ihnen jeden ersten Montag im Monat Einschätzungen und Einblicke zu Trends und Themen aus der Technologie-Szene. 

Was benötigen junge Gründerinnen und Gründer? Warum liegen wir bei digitalen Geschäftsmodellen in der Plattform-Ökonomie, bei E-Government und vernetzter Gesundheitswirtschaft so zurück? Ich möchte versuchen diese Fragen zu beantworten, aber vor allem mit Ihnen zusammen Wege ergründen, wie wir aufholen können. Meine Überzeugung: Wir brauchen ein digitales Wirtschaftswunder. Wir müssen „Made in Germany“ neu definieren. 

Weltmarken wie Siemens, Bosch, BMW oder Viessmann waren Start-ups. Nur ist dies teilweise über 100 Jahre her. In der deutschen Wirtschaft wurden Innovationskraft und Mut zu oft durch Strukturen und Bedenken verdrängt. Eine saturierte Ökonomie. Die Zahlen sind eindeutig und erschreckend. Die Zahl der Unternehmensgründungen im Bereich der IT-Technologie liegen heute fast 40 Prozent unter dem Niveau von 2000. Bei Patenten für digitale Geschäftsmodelle liegen weltweit die Chinesen vorn. Und von den 100 wertvollsten Firmen der Welt ist mit SAP auf Platz 49 die erste und einzige deutsche Technologiefirma. 
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Wenn wir am Ende dieses Jahrzehnts noch zu den zehn größten Volkswirtschaften der Welt gehören und nicht der neue kranke Mann Europas sein wollen, brauchen wir einen Kraftakt. 

Wer therapieren will, muss die Ursachen für das Leid kennen. Es sind drei Gründe:
  1. Die Investitionsbereitschaft ist ungenügend.
  2. Die Regulierung der Gründerszene ist atemraubend. 
  3. Die kulturelle Haltung gegenüber Gründern ist erbärmlich. 
Wir brauchen schlicht mehr Geld für Gründer. Investitionen sind der Treibstoff für Digitalfirmen, die skalieren und wachsen müssen, wenn sie bestehen wollen. Bei den Wagniskapitalinvestitionen liegen die USA und China (insbesondere in der later stage) fast uneinholbar vorne.
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Was kaum ein Medium aufgreift: Selbst das Geld, das hier investiert wird, kommt aus den USA oder Asien. 46 Prozent des in Europa investierten Venture Capitals kommen aus diesen Regionen.  

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Es ist ein Teufelskreislauf. Der Mangel an Wagniskapital führt dazu, dass Firmenanteile und damit Einfluss und Wertschöpfung ins Ausland abfließen. Insbesondere die großen Finanzierungsrunden der jüngeren Zeit (Flixbus, N26, GetYourGuide, Auto1) wurden ausschließlich von US- und asiatischen Geldgebern injiziert. Die Gefahr: Wer die Welt von morgen finanziert und baut, kann die Standards prägen. Von einem Demokratie und Werteexport unseres Wirtschaftsmodells braucht dann kein deutscher Politiker mehr träumen.
 
Es ist nicht zu spät. Wir haben smarte Gründer und Start-ups der Weltklasse. Wir haben bereits Erfolgsgeschichten auf deutschem Boden geschrieben, wie Zalando.

Bei Klimatechnologien, industrienahen Techniken, Smart Cities oder beim Megathema Künstliche Intelligenz haben wir eine Chance, wenn wir jetzt Rahmenbedingungen setzen. Frankreich und Großbritannien machen es vor. Seien wir mutig! 

Zwei Ideen könnten helfen: 
  1. Wir brauchen einen milliardenschweren Dachfonds, der gezielt Wagniskapital in Zukunftsfelder wie Quantum Computing, Internet of Things, Künstliche Intelligenz oder Blockchain leitet. Anstatt ausländische Investoren um ihr Geld anzuflehen, sollten wir Deutschen in unsere eigenen Technologien investieren können und am Erfolg partizipieren. 
  2. Wir müssen Gründergeist durch Mitarbeiterbeteiligung kultivieren. Die Politik muss helfen, wenn wir internationale Top-Talente gewinnen wollen und unsere besten Mitarbeiter im Land halten wollen. Bisher sind Aktienoptionen aus steuerlichen und bürokratischen Gründen unattraktiver und aus gesellschaftsrechtlichen Gründen teurer als in den meisten Industrienationen der Welt. Ein Standortnachteil! Denkbar wäre ein steuerlicher Sondertatbestand für Start-up-Beteiligungen wie in Schweden. Oder die Kosten von Mitarbeiterbeteiligungen werden durch eine Optimierung des Gesellschaftsrechts gesenkt (Modell Frankreich). Wir sollten wissen: Die EU-Kommission rechnet bis 2020 mit 760.000 offenen Stellen in der Digitalwirtschaft, die mit den Talenten aus den eigenen Ländern nicht besetzt werden können. 
 
Deutschland braucht dringend ein Digitalministerium. 

Seit Jahren wird diskutiert, passiert ist nichts. Mindestens sechs Ministerien befassen sich auf Bundesebene mit digitalen Fragen, dazu ein Kanzleramtschef und eine Staatsministerin. Ein Kompetenzgerangel, während draußen Hürden den Alltag erschweren. Bürger faxen und schicken Dokumente in Ämter und müssen meist persönlich erscheinen, Häuser werden nicht vernetzt, obwohl Heizkosten und Emissionen gespart werden könnten. Im Zug ist ein funktionierendes Handynetz ein Glücksspiel, in der Schule das smarte Lernen die Ausnahme. In Hotels werden Formulare an der Rezeption ausgefüllt, im Handel regiert Bargeld. Ein Ministerium, in dem alle Fäden zusammenlaufen mit einer glaubwürdigen Persönlichkeit an der Spitze wäre der Impuls für die Wende. Wenn Union und SPD den Neuanfang ihrer Koalition wollen, hier könnte er beginnen.  

Es gibt Politiker, die digitale Leidenschaft und Kompetenz mitbringen. 
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Thomas Jarzombek (CDU) ist ein Pionier in der Digitalpolitik und seit Jahren ein Bündnispartner der Gründer. Exzellent verdrahtet, offen, aber auch einer, der umsetzen kann. Die CDU wäre gut beraten, bei ihrer Verjüngungskur an den Mann zu denken.
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Dorothee „Doro“ Bär (CSU) ist beliebt bei Gründerinnen und Gründern. Sie hat Klinken geputzt, zugehört und bringt ein echtes Interesse für die Belange der Start-ups mit. Kritikpunkt bleibt, dass sie als Staatsministerin eine Königin ohne Land ist. 
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Lars Klingbeil (SPD) ist der unbestrittene Digital-Kopf bei den Sozialdemokraten. Aus Leidenschaft. Er sollte mal bei Olaf Scholz ein bisschen Druck machen, wenn er wirklich etwas verändern will.
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Christian Lindner (FDP) übernahm das digitale Interesse von seinem Vorgänger Philipp Rösler, der als Wirtschaftsminister erste Akzente setzte. Lindner hält auch dann zur Start-up-Szene, wenn gerade nicht Wahlkampf ist.
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Danyal Bayaz (Grüne) ist der Technologie-Berater von Robert Habeck und als ehemaliger Unternehmensberater ein Mann der Praxis. Er versteht, dass der Klimawandel auch durch Fortschritt bekämpft werden kann und besetzt damit bei den Grünen eine wichtige Position. 
 
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Mein Appell an die Start-up-Gründer und die etablierte Wirtschaft: Übernehmt Verantwortung und arbeitet zusammen! Roland Berger, Berater-Ikone, hat es auf den Punkt gebracht:
Es ist an der Zeit, dass Unternehmer, Gründer und Investoren sich zusammenschließen. Jung und Alt. Start-up, Politik und Großindustrie. Mann und Frau.”
Von den etablierten Unternehmen können die Start-upper das langfristige Denken lernen. Nachhaltiger Erfolg ist nicht nur für eine Gesellschaft wertschöpfender, sondern auch für die Gesellschafter. 
Umgekehrt gilt der Aufruf an die Traditionshäuser: Verändert euch, bevor ihr verändert werdet! Hier gilt der legendäre Satz von Barack Obama: "Veränderung entsteht nicht, wenn wir auf andere Personen oder andere Zeiten warten. Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben. Wir sind die Veränderung, die wir suchen." 

Geht Risiken ein! Investiert in Start-ups! Kauft Start-ups! Kauft von Start-ups! Gründet Start-ups! Nur im Zusammenspiel beider Welten liegt der zukünftige Erfolg unserer Volkswirtschaft.
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Mein Highlight: Eine beeindruckende Persönlichkeit der Start-up-Szene zieht sich von ihren Ämtern zurück. Die Seriengründerin und Investorin Verena Pausder (Fox & Sheep, Geschäftsführerin der bundesweiten HABA Digitalwerkstätten, siehe Foto) scheint sich auf etwas Neues vorzubereiten.
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Meine Hoffnung: Verena Pausder geht in die Politik. Bildungsministerin wäre etwas! Kaum eine andere Person in Deutschland hat so viel Wissen und Verständnis zum Thema digitale Bildung aufgebaut. 

Mein Lowlight: WeWork-Gründer Adam Neumann kassiert eine milliardenschwere Abfindung nach dem desaströsen Börsendebut seines überbewerteten Immobilien-Start-ups. Missmanagement so zu belohnen sollte kein Etikett der Szene werden. Wir brauchen mehr Wertebewusstsein.

Mein Rockstar: “GetYourGuide”-Chef Johannes Reck ist ein erfolgreicher Unternehmer und er kuscht nicht vor der Politik. Beim “Welt”-Wirtschaftsgipfel legte er sich mit Finanzminister Olaf Scholz an. Der SPD-Politiker meinte, dass es in Deutschland nicht an Rahmenbedingungen, sondern an Unternehmergeist mangele. Reck antwortete kühl: “Es scheint mir, als ob er in Berlin noch nicht aus seinem Ministerium herausgekommen ist.”  

Mein Lesetipp: Der digitale Aufbruch muss ein gesellschaftlicher sein. Das Problem ist die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Der Digitalreport 2020 vom Gründer-Netzwerk ESCP zeigt das Dilemma. 80 Prozent der befragten Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft halten die Digitalisierung für den wichtigsten Treiber für künftigen Wohlstand, aber fast 90 Prozent sagen auch, dass Deutschland nicht gut genug aufgestellt ist.  

Der Deal des Monats: Kry erhält 140 Millionen Euro für seine medizinische Videosprechstunde. Das schwedische Start-up will das Wartezimmer abschaffen und den Gang zum Arzt digitalisieren. Leider hat der deutsche Gesetzgeber die Technologie lange verhindert und so kommt der europäische Marktführer nun aus Schweden und das Geld aus Kanada. Schade! Kry ist auf dem Weg zum mehrfachen Unicorn.
 
Am ersten Montag im Februar gibt es nicht nur die zweite Ausgabe des Tech Briefings, dann werden Sie auch die erste Podcast-Episode hören können. Doch auch in dieser Woche habe ich einen Audio-Tipp für Sie. Heute bin ich in Steingarts Morning Briefing zu Gast und habe mich mit Pioneer-Herausgeber Gabor Steingart über Chancen und Versäumnisse von Digital Germany unterhalten. Hier geht es zum Podcast:
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Klick aufs Bild führt zur Podcast-Folge
 
Wie müsste Ihrer Meinung nach dieser Mutausbruch im Jahr 2020 aussehen? Schicken Sie mir Ihr Feedback auf das Briefing an techbriefing@mediapioneer.com oder an meinen Twitter-Account
Unterschrift_weiß
Christian Miele
Kolumnist, Investor und Präsident des Bundesverbandes Deutsche Start-ups
 
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